Beim sexuellen Verlangen (Libido, sexuelle Appetenz) gibt es sowohl bei Männern wie auch bei Frauen eine große Bandbreite. Manche haben täglich Appetit auf Sex, anderen reicht einmal in der Woche oder einmal im Monat. Schließlich gibt es auch Menschen, die keinerlei Bedürfnisse nach sexuellen Kontakten haben und dabei nichts vermissen (Aven 2005). Natürlicherweise lassen auch mit dem Alter die sexuellen Bedürfnisse nach. Das alles kann vollständig “normal” sein.
Eine ganz andere Situation liegt vor, wenn bei einem vorher sexuell aktiven Menschen das sexuelle Bedürfnis in kurzer Zeit stark nachlässt oder komplett verschwindet und der Partner darunter leidet. Da die Sexualität für viele Menschen die intimste und intensivste Form ist, Nähe, Zuneigung und Verbundenheit auszudrücken, wird umgekehrt nachlassendes sexuelles Verlangen (Libidoverlust, Appetenzverlust) oft zu einer großen Belastung für eine Beziehung. Das sollte man nicht einfach hinnehmen. Ein Libidoverlust kann ein Warnsignal des Körpers oder der Seele sein, das ein Problem anzeigt, dem nachzugehen sich lohnt.
Grundsätzlich unterscheidet man einen lebenslang bestehenden Libidomangel und einen erworbenen (erst im Laufe des Lebens aufgetretenen) Libidomangel. Wir beschäftigen uns im Folgenden hauptsächlich mit dem erworbenen Libidomangel und benutzen dafür den Begriff Libidoverlust.
Libidoverlust: Ursachen
Ein Libidoverlust kann viele Ursachen haben. Die folgende Aufstellung enthält einige davon:
- Körperliche Ursachen
- Hormonstörungen. Die wichtigsten für einen Libidoverlust verantwortlichen Hormonstörungen sind:
- Testosteronmangel (Hypogonadismus) (Porst 2012a)
- Erhöhter Prolaktinwert (Hyperprolaktinämie) (Porst 2012b)
- Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose) (Carani et al. 2005)
- Nebenwirkung von Medikamenten (Gnirss-Bormet 2004).
Einzelheiten stehen auf unserer Seite “Medikamentenliste (Medikamente, die Sexualstörungen verursachen können)” - verschiedene chronische Krankheiten
wie beispielsweise Herz-Kreislauferkrankungen, Nierenversagen, HIV (Meuleman/van Lankveld 2005)
- Hormonstörungen. Die wichtigsten für einen Libidoverlust verantwortlichen Hormonstörungen sind:
- Psychische Ursachen
- Depression, Schizophrenie (Segraves 2005)
- Angststörungen
- Stress
- Minderwertigkeitsgefühle
- Angst vor Sex (z.B. auf Grund einer sexualfeindlichen Erziehung oder eines traumatischen Erlebnisses)
Oft führen auch andere sexuelle Störungen zu einem nachlassenden sexuellem Verlangen. Bei Männern mit Erektionsstörungen kann z.B. das mangelnde sexuelle Verlangen eine Art Selbstschutz sein, der den Mann davor bewahrt, in eine Situation zu geraten, die er als extrem peinlich und erniedrigend empfindet.
- Soziale Ursachen
- Partnerschaftskonflikte
- Existenzangst
Zu mangelnder sexueller Lust können auch Probleme führen, die sich im Laufe einer Beziehung entwickeln und den Partnern oft unbewusst sind. Dazu können z.B. mangelnde Nähe oder Zeit füreinander, fehlende oder negative Kommunikation, unzureichender Austausch der Wünsche und Bedürfnisse oder nachlassende Zuneigung gehören. Auch eine unbewusste Ablehnung des Partners kann eine Ursache des Libidomangels sein.
Libidoverlust: Diagnose
Bei der Diagnose spielt die Erhebung der Krankheitsgeschichte (Anamnese) eine entscheidende Rolle. Der Arzt bzw. Therapeut wird dabei u.a. folgende Fragen ansprechen:
- Bestand die sexuelle Unlust schon immer?
- Wann ist sie aufgetreten? Wie hat sich die Siutuation geändert? Wie hat sich die Häufigkeit des Verkehrs geändert?
- Bezieht sich die Unlust nur auf den Sex mit dem Partner oder auf alle sexuelle Aktivitäten?
- Gab es einschneidende Lebensereignisse zum Zeitpunkt des Eintretens der Unlust?
- Welche Krankheiten und andere sexuelle Störungen liegen vor?
- Welche Medikamente nimmt der Patient?
Wenn die Anamnese nicht eindeutig auf eine psychische Ursache hinweist, dann wird auch eine Blutuntersuchung durchgeführt, bei der (Gesamt-)Testosteron und Prolaktin und eventuell weitere Werte (freies Testosteron, SHBG, FSH, LH, T3, T4) bestimmt werden (Beier 205, S. 254). Anstelle des nur aufwändig zu bestimmenden Wertes des freien Testosterons wird dafür oft ein berechneter Wert, der sog. Freie Androgen Index (FAI), herangezogen. Die Formel für den FAI ist 100 * Gesamt-Testosteron / SHBG.
Therapie
Beim Vorliegen von körperlichen Ursachen wird der Arzt versuchen, die Ursachen entweder zu beseitigen (z.B. durch Austausch von Medikamenten) oder die Symptome zu lindern (z.B. durch eine Testosteronsubstitution).
Bei vorwiegend psychischen Ursachen ist eine Sexualberatung oder ‑therapie erforderlich. Geeignete Beratungsstellen finden Sie auf unserer Seite Sexual- und Paarberatungsstellen.
Vorbereitung des Arztbesuchs
Tritt die sexuelle Unlust innerhalb einer festen Partnerschaft auf, so ist hilfreich, wenn das Paar Antworten auf die obenstehenden Fragen zusammenträgt. Darüberhinaus kann es aufschlussreich sein, gemeinsam über folgende Fragen nachzudenken:
- Worauf hat jeder der Partner Lust (ganz allgemein, nicht auf Sex bezogen)?
- Was möchte jeder gerne mit dem anderen erleben (was aber zur Zeit zu kurz kommt)?
- Was erlebt jeder als belastend in der Beziehung, was würde jeder gerne ändern?
- Was beschäftigt jeden einzelnen? Was verhindert, dass er/sie abschalten kann?
- Was beschwert ihn/sie? Was macht ihn/sie glücklich?
Solche Gespräche sind nicht einfach. In unserer Seite Erektionsstörungen — Anregungen für Partnerinnen finden Sie Anregungen und Tipps für Gespräche. Wenn diese Gespräche unbefriedigend verlaufen, dann kann eine Paarberatung weiterhelfen.