Defi­ni­ti­on der erek­ti­len Dysfunktion

Erek­ti­le Dys­funk­ti­on – Neu­er Begriff für ein altes Leiden

Die Medi­zin unter­schei­det neben ande­ren haupt­säch­lich zwei For­men der Impo­tenz: Unter Impo­ten­tia coeun­di ver­steht man die Unfä­hig­keit zur Aus­übung eines Geschlechts­ak­tes. Die Impo­ten­tia gener­an­di (Infer­ti­li­tät, Ste­ri­li­tät, Unfrucht­bar­keit) bezeich­net die Unfä­hig­keit zur Fort­pflan­zung. Aller­dings wer­den die­se latei­ni­schen Begrif­fe nur noch sel­ten benutzt. In der Umgangs­spra­che hat man unter Impo­tenz meist die ers­te Situa­ti­on verstanden.

Der Begriff “Impo­tenz” allein ist also nicht klar defi­niert. Außer­dem haben die Wor­te “Impo­tenz” und “impo­tent” einen nega­ti­ven Bei­geschmack. Sie wer­den häu­fig in einem abwer­ten­den Sinn ver­wandt. Des­halb wur­de 1992 auf einer Fach­ta­gung zum The­ma Erek­ti­ons­stö­run­gen (Natio­nal Insti­tu­tes of Health Con­sen­sus Deve­lo­p­ment Con­fe­rence on Impo­tence) beschlos­sen, den Begriff Impo­tenz (im Sin­ne von Impo­ten­tia coeun­di) in der Medi­zin nicht mehr zu ver­wen­den und statt des­sen von erek­ti­ler Dys­funk­ti­on (kurz ED) zu reden (NIH 1992).

Defi­ni­tio­nen der ED von Fachgesellschaften

Eine prä­zi­se Defi­ni­ti­on der erek­ti­len Dys­funk­ti­on stand in der “Leit­li­nie zur Dia­gnos­tik und The­ra­pie von Libi­do- und Erek­ti­ons­stö­run­gen” der Deut­schen Gesell­schaft für Uro­lo­gie (DGU 2001), deren Gül­tig­keits­dau­er inzwi­schen abge­lau­fen ist:

Die erek­ti­le Dys­funk­ti­on beschreibt ein chro­ni­sches Krank­heits­bild von min­des­tens 6‑monatiger Dau­er bei dem min­des­tens 70 Pro­zent der Ver­su­che, einen Geschlechts­ver­kehr zu voll­zie­hen, erfolg­los sind.

Die­se Leit­li­nie wur­de nicht aktua­li­siert, weil es inzwi­schen eine euro­päi­sche Leit­li­nie gibt (Hat­zi­mou­rat­i­dis 2010). Dort wird die ED wie folgt definiert:

ED is the per­sis­tent ina­bi­li­ty to attain and main­tain an erec­tion suf­fi­ci­ent to per­mit satis­fac­to­ry sexu­al performance.

Über­setzt:
Die ED ist das anhal­ten­de Unver­mö­gen, eine Erek­ti­on zu errei­chen und auf­recht zu erhal­ten, die für eine befrie­di­gen­de sexu­el­le Akti­on aus­rei­chend ist.

Die­se Defi­ni­ti­on stimmt mit der Defi­ni­ti­on über­ein, die 1992 bei der Ein­füh­rung des Begriffs “erek­ti­le Dys­funk­ti­on” fest­ge­legt wur­de (NIH 1992).

Die Inter­na­tio­nal Socie­ty for Sexu­al Medi­ci­ne (ISSM) hat eine leicht abwei­chen­de Defi­ni­ti­on ver­öf­fent­licht (Fugl-Mey­er 2010, Sei­te 46):

Erec­ti­le dys­func­tion (ED) is defi­ned as the con­sis­tent or recur­rent ina­bi­li­ty of a man to attain and/or main­tain peni­le erec­tion suf­fi­ci­ent for sexu­al acti­vi­ty. A 3‑months mini­mum dura­ti­on is accept­ed for estab­lish­ment of the dia­gno­sis. In some ins­tances of trau­ma or sur­gi­cal­ly indu­ced ED (e.g. post radi­cal pro­sta­tec­to­my), the dia­gno­sis may be given pri­or to 3 months.

Über­setzt:
Die erek­ti­le Dys­funk­ti­on (ED) ist das anhal­ten­de oder wie­der­keh­ren­de Unver­mö­gen, eine aus­rei­chen­de Erek­ti­on für eine sexu­el­le Akti­vi­tät zu errei­chen und auf­recht zu erhal­ten. Die­ser Zustand soll­te min­des­tens 3 Mona­te lang bestehen. In eini­gen Fäl­len von Ver­let­zun­gen oder durch Ope­ra­tio­nen ver­ur­sach­ten Erek­ti­ons­stö­run­gen (z.B. nach einer radi­ka­len Pro­sta­tek­to­mie) kann die Dia­gno­se vor Ablauf der 3 Mona­te gestellt werden.

Inter­es­sant ist die Anmer­kung der Autoren, dass objek­ti­ve Mes­sun­gen und Berich­te von Part­nern die Dia­gno­se zwar unter­stüt­zen kön­nen, dass die­se Maß­nah­men aber nie­mals ein Ersatz für die Selbst­ein­schät­zung des Betrof­fe­nen sein können.

Unbe­frie­di­gend aus unse­rer Sicht ist, dass in den bei­den zuletzt zitier­ten Defi­ni­tio­nen von einer aus­rei­chen­den Erek­ti­on gespro­chen wird, die eine befrie­di­gen­de “sexu­el­le Akti­vi­tät” erlaubt. Das kann den Ein­druck erwe­cken, dass eine aus­rei­chen­de Erek­ti­on Vor­aus­set­zung für jede Art von befrie­di­gen­den Sex ist. Es gibt aber auch Spiel­ar­ten der Sexua­li­tät, die kei­ne Erek­ti­on vor­aus­set­zen, aber trotz­dem für bei­de Part­ner zum Orgas­mus füh­ren kön­nen. Des­halb wäre es sinn­voll, in den Leit­li­ni­en anstel­le von “sexu­el­len Akti­vi­tä­ten” von Geschlechts­ver­kehr zu sprechen.

Defi­ni­ton der ED durch Fragebögen

Für den Ein­satz in medi­zi­ni­schen Stu­di­en (z. B. zur Prä­va­lenz der ED oder zur Wirk­sam­keit von Medi­ka­men­ten oder auch in der Dia­gnos­tik) sind die oben ste­hen­den Defi­ni­tio­nen nicht prä­zis genug. Hier ver­wen­det man spe­zi­ell ent­wi­ckel­te Fra­ge­bö­gen, die genaue­ren Auf­schluss über die Erek­ti­ons­fä­hig­keit und die Aus­prä­gung der ED geben. Ein viel benutz­ter Fra­ge­bo­gen ist der Inter­na­tio­nal Index of Erec­ti­le Func­tion (IIEF) (Rosen 1997). Oft wird eine aus 5 Fra­gen bestehen­de Kurz­form (IIEF‑5) benutzt, die auch unter dem Namen Sexu­al Health Inven­to­ry for Men (SHIM) bekannt ist (Cap­pel­le­ri 2005).

Die fol­gen­den Fra­gen des IIEF‑5 (SHIM) bezie­hen sich auf die letz­ten 6 Monate.

1 Wie zuver­sicht­lich sind Sie, eine Erek­ti­on zu bekom­men und auf­recht­erhal­ten zu kön­nen?   sehr nied­rig nied­rig mit­tel­mä­ßig hoch sehr hoch 1 2 3 4 5 2 Wenn Sie bei sexu­el­ler Sti­mu­la­ti­on Erek­tio­nen hat­ten, wie oft waren Ihre Erek­tio­nen hart genug um in Ihre Part­ne­rin ein­zu­drin­gen? Kein Sex nie oder fast nie sel­ten (viel weni­ger als die Hälf­te der Zeit) manch­mal (etwa die Hälf­te der Zeit) meis­tens (viel mehr als die Hälf­te der Zeit) fast immer oder immer 0 1 2 3 4 5 3 Wie oft waren Sie beim GV in der Lage, die Erek­ti­on nach dem Ein­drin­gen in Ihre Part­ne­rin auf­recht­zu­er­hal­ten? Ich habe kei­nen GV ver­sucht nie oder fast nie Sel­ten (viel weni­ger als die Hälf­te der Zeit) Manch­mal (etwa die Hälf­te der Zeit) Meis­tens (viel mehr als die Hälf­te der Zeit) Fast immer oder immer 0 1 2 3 4 5 4 Wie schwie­rig war es beim GV die Erek­ti­on bis zum Ende des GV auf­recht­zu­er­hal­ten? Ich habe kei­nen GV ver­sucht Äußerst schwie­rig sehr schwie­rig schwie­rig etwas schwie­rig nicht schwie­rig 0 1 2 3 4 5 5 Wenn Sie GV ver­such­ten, wie oft war er befrie­di­gend für Sie? Ich habe kei­nen GV ver­sucht nie oder fast nie Sel­ten (viel weni­ger als die Hälf­te der Zeit) Manch­mal (etwa die Hälf­te der Zeit) Meis­tens (viel mehr als die Hälf­te der Zeit) Fast immer oder immer 0 1 2 3 4 5

Punk­te ED-Klas­si­fi­zie­rung 22 — 25 kei­ne ED 17 — 21 leich­te ED 12 — 16 leich­te bis mitt­le­re ED 8 — 11 mitt­le­re ED 1 — 7 schwe­re ED

Jeder Ant­wort in der oben­ste­hen­den Tabel­le ist eine Punkt­zahl zuge­ord­net. Wenn man die Punk­te der 5 Ant­wor­ten zusam­men­zählt, dann ergibt sich eine Zahl zwi­schen 1 und 25, der ent­spre­chend der neben­ste­hen­den Tabel­le ein Schwe­re­grad der erek­ti­len Dys­funk­ti­on zuge­ord­net wird. Dabei wird vor­aus­ge­setzt, dass der Mann in einer sta­bi­len Bezie­hung mit Gele­gen­heit zum Sex lebt.

Unter­tei­lung der ED

pri­mär – sekundär

Eine pri­mä­re ED besteht seit der Geschlechts­rei­fe. Von einer sekun­dä­ren ED spricht man, wenn der Mann vor dem Auf­tre­ten der ED eine Zeit mit befrie­di­gen­den Erek­tio­nen erlebt hat.

situa­tiv – generalisiert

Eine situa­ti­ve ED liegt dann vor, wenn es in bestimm­ten Situa­tio­nen (bei­spiels­wei­se im Urlaub, beim Sex mit einer ande­ren Part­ne­rin, bei der Selbst­be­frie­di­gung, bei bestimm­ten Sex­prak­ti­ken, usw.) zu einer aus­rei­chen­den Erek­ti­on kommt. Bei einer gene­ra­li­sier­ten ED ist das Pro­blem immer vorhanden.

orga­nisch – psychisch

Die Unter­tei­lung orga­nisch oder psy­chisch beding­te ED hat in den letz­ten Jah­ren an Bedeu­tung ver­lo­ren, da sie oft lebens­fremd ist. Da die Sexua­li­tät im Leben fast jeden Man­nes eine gro­ße Rol­le spielt, gehen Erek­ti­ons­stö­run­gen prak­tisch immer auch mit psy­chi­schen Pro­ble­men ein­her, auch wenn der Aus­lö­ser ursprüng­lich rein orgainsch war. Anstatt einer Schwarz-Weiß-Ent­schei­dung wird man daher heu­te bei der Dia­gno­se immer auf orga­ni­sche und psy­chi­sche Fak­to­ren ach­ten (Schae­fer 2006).

Lite­ra­tur

  • Cap­pel­le­ri, Joseph C; Rosen, Ray­mond C (2005):
    The Sexu­al Health Inven­to­ry for Men (SHIM): a 5‑Year Review of Rese­arch and Cli­ni­cal Experience.
    Inter­na­tio­nal Jour­nal of Impo­tence Rese­arch, Volu­me 17, Issue 4, Pages 307–319.
  • DGU (Deut­sche Gesell­schaft für Uro­lo­gie) (2001):
    Leit­li­nie: Dia­gnos­tik und The­ra­pie von Libi­do- und Erektionsstörungen.
    Der Uro­lo­ge, Band 40, Heft 4, Sei­te 331–339.
    (Die Gül­tig­keits­dau­er die­ser Leit­li­nie ist abgelaufen).
  • Fugl-Mey­er, Kers­tin S; Lewis, Ronald W; et al. (2010):
    Defi­ni­ti­ons, Clas­si­fi­ca­ti­on, and Epi­de­mio­lo­gy of Sexu­al Dysfunction.
    In: Mon­tor­si, F; Bas­son, R; Adai­kan, G; Becher, E; Clay­ton, A; Giu­lia­nu, F; Khou­ry, S; Shar­lip, I (Ed.) Sexu­al Medi­ci­ne — Sexu­al Dys­func­tion in Men and Women. 3rd Inter­na­tio­nal Con­sul­ta­ti­on on Sexu­al Medi­ci­ne – Paris.
  • Hat­zi­mou­rat­i­dis, Kon­stan­ti­nos; Amar, Edouard; Eard­ley, Ian; et al. (2010):
    Gui­de­lines on Male Sexu­al Dys­func­tion: Erec­ti­le Dys­func­tion and Pre­ma­tu­re Ejaculation.
    Euro­pean Uro­lo­gy, Volu­me 57, Issue 5, Pages 804–814.
  • NIH (Natio­nal Insti­tu­tes of Health) (1992)
  • Rosen, Ray­mond C; Riley, Alan; Wag­ner, Gorm; Oster­loh, Ian H; Kirk­pa­trick; John; Mishra, Ava­nish (1997):
    The inter­na­tio­nal index of erec­ti­le func­tion (IIEF): a mul­ti­di­men­sio­nal sca­le for assess­ment of erec­ti­le dysfunction.
    Uro­lo­gy, Volu­me 49, Issue 6, Pages 822–830.
  • Rosen, Ray­mond C; Cap­pel­le­ri, Joseph C; Smith, MD; Lips­ky, J; Pena, BM (1999):
    Deve­lo­p­ment and eva­lua­ti­on of an abrid­ged, 5‑item ver­si­on of the Inter­na­tio­nal Index of Erec­ti­le Func­tion (IIEF‑5) as a dia­gno­stic tool for erec­ti­le dysfunction.
    Inter­na­tio­nal Jour­nal of Impo­tence Rese­arch, Volu­me 11, Issue 6, Pages 319–326.
  • Schae­fer, GA; Ahlers, CJ (2006):
    Dif­fe­ren­ti­al­dia­gnos­ti­sche Dis­kus­si­on der Erektionsstörung.
    Der Uro­lo­ge, Band 45, Heft 8, Sei­te 967–974.