Die Beckenbodenmuskulatur (genauer gesagt der Musculus ischiocavernosus und der Musculus bulbospongiosus) spielt beim Entstehen und Aufrecherhalten einer Erektion und beim Samenerguss (Ejakulation) eine wichtige Rolle. Diese Muskeln helfen dabei mit, den Blutabfluss aus den Schwellkörpern durch Abpressen von Venen zu verhindern. Außerdem sorgen sie durch das Zusammenpressen der in den Beckenboden hineinragenden Teile der Schwellkörper für einen hohen Druck in den Schwellkörpern. Es liegt daher nahe, dass man durch ein Training der Beckenbodenmuskulatur die Erektion in bestimmten Fällen verbessern kann. Auch als Vorbeugemaßnahme gegen Erektionsstörungen kann die Stärkung dieser Muskulatur sinnvoll sein.
Studien
In einer belgischen Studie (Claes/Baert 1993) wurden bei 150 Männern mit einem nachgewiesenen “venösen Leck” (veno-okklusive Dysfunktion) entweder eine venöse Sperroperation oder aber Beckenbodentraining durchgeführt. Die Auswahl erfolgte nach dem Zufallsprinzip. Zum Erlernen der Beckenbodengymnastik erhielten die Männer 5 Trainingsstunden bei einem Physiotherapeuten. Nach 4 Monaten war bei 42% der Männer ohne Operation wieder eine zufriedenstellende Erektion möglich.
In einer zweiten belgischen Studie (van Kampen et al, 2003) waren 51 Männer beteiligt, die aus unterschiedlichen Gründen keine für einen Geschlechtsverkehr ausreichende Erektion erreichen oder aufrecht erhalten konnten. Männer mit einem venösen Leck waren überproportional (39%) beteiligt. Die Patienten besuchten einmal pro Woche eine Trainingsstunde bei einem Physiotherapeuten. Dabei wurden außer den gymnastischen Übungen auch Elektrostimulation der Muskeln und Biofeedback eingesetzt. Zuhause sollte jeder Patient 3‑mal pro Tag die Übungen durchführen. Nach 4 Monaten konnten 47% der Teilnehmer wieder eine zufriedenstellende Erektion erreichen, bei 24% hatte sich die Erektion verbessert und bei 12% ergab sich keine Änderung. 18% der Teilnehmer gaben vor dem Abschluss der Studie auf.
Eine weitere Studie mit 55 Teilnehmern wurde in England durchgeführt (Dorey et al, 2005). Die Teilnehmer wurden per Zufallsprinzip einer von 2 Gruppen zugeteilt. In der ersten Gruppe (Interventionsgruppe) wurden Beckenbodenübungen mit Biofeedback durchgeführt. Außerdem erhielten die Männern Beratung für einen gesünderen Lebensstil (Rauchen aufhören, Alkoholkonsum reduzieren, Abnehmen, bessere Fitness und Vermeidung von Druck auf die Dammgegend beim Radfahren). Die zweite Gruppe (Kontrollgruppe) erhielt nur die Beratung zur Lebensstiländerung. Nach 3 Monaten wurde eine Zwischenbilanz gezogen. Zur Überraschung der Wissenschaftler hatte sich in der Kontrollgruppe keine positive Veränderung der Erektionsfähigkeit ergeben. Die Teilnehmer der Kontrollgruppe erhielten dann auch das Beckenbodentraining. Nach weiteren 3 Monaten sah das Bild anders aus. Jetzt hatten insgesamt 40% der Teilnehmer wieder eine normale Erektion, bei 35,5% hatte sich die Erektion verbessert und bei 24,5% hatte sich keine Besserung gezeigt.
In Deutschland führte Prof. Frank Sommer eine Studie mit 124 Männern durch (Sommer 2004), die unter einem leichten bis mittelschweren venösem Leck leiden. Die Männer wurden per Zufall in 3 Gruppen aufgeteilt. Die erste Gruppe führte eine spezielle Beckenbodengymnastik (VigorRobic®) durch, die zweite Gruppe nahm bei Bedarf Viagra® ein, die dritte Gruppe erhielt ein Placebo für die Einnahme vor einem Geschlechtsverkehr. Nach 16 Wochen kam es in der VigorRobic-Gruppe bei 80%, in der Viagra-Gruppe bei 74% und in der Placebo-Gruppe bei 18% der Männer zu einer verbesserten Erektionsfähigkeit.
Erlernen der Übungen
Bei Gymnastik kann man einiges falsch machen. Bei den Beckenbodenübungen kommt erschwerend dazu, dass man erst einmal ein Gefühl für diese Muskeln entwickeln muss und lernen muss, sie gezielt anzuspannen. Es ist daher optimal, wenn man sich die Übungen unter Anleitung eines erfahrenen Physiotherapeuten oder einer Physiotherapeutin aneignet. Natürlich kann man auch mit Hilfe eines Buchs die Übungen lernen, aber hier ist die Gefahr groß, dass man die Übungen nicht korrekt durchführt.
Zusammenfassung
Beckenbodenübungen sind eine natürliche und effektive Behandlungsmethode gegen Erektionsstörungen, die durch ein leichtes bis mittelschweres venöses Leck verursacht wurden. Da Erektionsstörungen meistens mehrere Ursache haben, kann auch in anderen Fällen die Beckenbodengymnastik zu einer Verbesserung der Erektion führen. Ziemlich aussichtslos ist das Beckenbodentraining bei Erektionsstörungen, die durch Nervenschädigungen bedingt sind oder psychische Ursachen haben (van Kampen, 2003). Auch zur Vorbeugung von Erektionsstörungen und zur Behandlung eines vorzeitigen Samenergusses (Sommer 2004) ist ein Beckenbodentraining zu empfehlen. Allerdings erfordert das Erlernen und Anwenden der Übungen viel Disziplin und große Ausdauer.
Literatur
Ratgeber
- IQWiG (Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen) (2013):
Beckenbodentraining. - Sommer, Frank (2016):
VigorRobic® — Potenter durch gezieltes Fitnesstraining.
6. Auflage. Aachen: Meyer & Meyer Verlag.
Verwendete Fachliteratur
- Claes, H.; Baert, L. (1993):
Pelvic floor exercise versus surgery in the treatment of impotence.
Br J Urol, January 1, 1993, Vol. 71, No. 1, Pages 52–57. - Dorey, Grace; Speakman, Mark J.; Feneley, Roger C.L.; Swinkels, Annette; Dunn, Christoper D.R. (2005):
Pelvic floor exercises for erectile dysfunction.
BJU International, September 2005, Vol. 96, No. 4, Pages 595–597. - van Kampen, Marijke; de Weerdt, Willy; Claes, Hubert; Feys, Hilde; de Maeyer, Mira; van Poppel, Hendrik (2003):
Treatment of Erectile Dysfunction by Perineal Exercise, Electromyographic Biofeedback, and Electrical Stimulation.
Physical Therapy, June 2003, Vol. 83, No. 6, Pages 536–543. - Sommer, Frank (2004):
Prävention der erektilen Dysfunktion durch gezieltes körperliches Training.
Blickpunkt Der Mann, 2004, Heft 1.
Weiterführende Fachliteratur
- Lavoisier, Pierre; Roy, Pascal; Dantony, Emmanuelle; Watrelot, Antoine; Ruggeri,Jean; Sébastien Dumoulin (2014):
Pelvic-Floor Muscle Rehabilitation in Erectile Dysfunction and Premature Ejaculation.
Physical Therapy, December 2014, Vol. 94, No. 12, Pages 1–13. - Rosenbaum, Talli Yehuda (2007):
Pelvic Floor Involvement in Male and Female Sexual Dysfunction and the Role of Pelvic Floor Rehabilitation in Treatment: A Literature Review.
The Journal of Sexual Medicine, Volume 4, Issue 1, Pages 4–13.