Die Werbung vermarktet Potenz auf allen Ebenen. Sex, wohin man sieht. Potenz ohne Ende. Wer diesem Klischee einer Superpotenz nicht entspricht, ist ein Versager. Und das kann keiner zugeben. Über das Gegenteil von Potenz, also die Impotenz, zu reden, ist ein Tabu in unserer Gesellschaft. Von Impotenz oder erektiler Dysfunktion (andere Bezeichnungen: Erektionsstörung, Potenzstörung) Betroffene verheimlichen ängstlich ihr Problem und leiden mit ihren Partnerinnen schwer darunter. Dieses Tabu verhindert jedes Gespräch über Erektionsstörungen, oft mit dem Partner und erst recht mit dem Arzt. Viele kommen gar nicht auf die Idee, eine Erektionsstörung könnte überhaupt eine Krankheit sein. Das Tabu sagt, ein Impotenter ist nicht krank, sondern ein Versager und damit selbst schuld. Soweit kommt es noch, dass es Sex auf Krankenschein gibt. Sollen die Krankenkassen etwa die Befriedigung primitiver Triebe und sexueller Lust bezahlen? Solche und ähnliche Meinungen sind durchaus anzutreffen, natürlich bei den Krankenkassen, aber auch unter den Ärzten. Dabei ist sexuelle Aktivität ein Grundbedürfnis jedes Menschen und nach Erkenntnissen von Medizinern und Psychologen wesentlich für die körperlich-seelische Gesundheit. Und so ist es nicht verwunderlich, dass Männer mit Potenzstörungen mit ihren Krankenkassen in Streit geraten sind wegen der Kostenübernahme für die Behandlung und Medikamente. In zahlreichen Gerichtsverfahren haben die Juristen entschieden, dass — unabhängig von Ursache und Alter — die erektile Dysfunktion eine Krankheit ist, für deren Feststellung (Diagnostik) und Behandlung die Krankenkassen aufzukommen haben. Mit der Gesundheitsreform hat der Gesetzgeber entschieden, dass ab dem 1.1.2004 die Versorgung mit Arzneimitteln zur Behandlung von Erektionsstörungen zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen ausgeschlossen ist. Hierzu hat der 1. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) am 10. Mai 2005 in dem Revisionsverfahren B 1 KR 25/03 R u.a. entschieden: “Dieser Leistungsausschluss verstößt nicht gegen das Grundgesetz. … Der Gesetzgeber verletzt seinen Gestaltungsspielraum auch im Hinblick auf das Sozialstaatsgebot nicht, wenn er … Leistungen aus dem Leistungskatalog herausnimmt, die — wie hier — in erster Linie einer Steigerung der Lebensqualität jenseits lebensbedrohlicher Zustände dienen.”
Unter Krankheit im Sinne des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) versteht man einen regelwidrigen vom Leitbild des gesunden Menschen abweichenden Körper- oder Geisteszustand. Krankheit begründet einen Rechtsanspruch gegen die Krankenkasse auf Behandlung und Versorgung mit Arzneimitteln, Heil- und Hilfsmitteln. Wenn ein solcher regelwidriger Zustand mit ärztlicher Hilfe behoben, gebessert, gelindert oder vor Verschlimmerung bewahrt werden kann, ist er auch behandlungsbedürftig. Dies alles trifft auf die mangelnde Erektionsfähigkeit des Penis zu. Die erektile Dysfunktion ist eine behandlungsbedürftige Krankheit. Für einen Rechtsanspruch auf Behandlung reicht aus, dass die Beschwerden gelindert werden können. Die erektile Dysfunktion muss also auch dann behandelt werden, wenn ihre Ursachen selbst — z.B. Operationen im kleinen Becken, Querschnittlähmung, Arteriosklerose, Diabetes oder psychische Störungen von Krankheitswert — nicht angegangen werden können. Bei der Behandlung der erektilen Dysfunktion geht es nicht um sexuelle Anreizung oder Steigerung der Potenz, sondern darum, die nicht mehr bestehende Erektionsfähigkeit als normale Körperfunktion bei vorhandener Libido wiederherzustellen. Anspruch auf Behandlung besteht auch unabhängig von der Wiederherstellung der Zeugungsfähigkeit des Mannes bei Kinderwunsch. Die Behandlung hat auch unabhängig vom Alter zu erfolgen. Bei der sogenannten “Kölner Studie” ergab sich, dass 40% der Männer zwischen 70 und 80 Jahren ein- bis mehrmals pro Woche sexuell aktiv sind. Nur die Hälfte dieser Altersklasse klagt über Einschränkungen der erektilen Funktion. Alter allein ist also kein Grund, die Behandlung der erektilen Dysfunktion abzulehnen. Die Versorgung mit Arzneimitteln ausgenommen, sind auch nach der Gesundheitsreform Beratung, Diagnostik und Behandlung bei ED unverändert Kassenleistung.
Bei der Abfassung dieses Artikels haben wir uns auf folgende Quellen gestützt:
- Urteil des Bundessozialgerichts (Aktenzeichen B8 KN 9/98 KR R) vom 30.9.1999
- M. Braun, T. Klotz, B. Reifenrath, M. Mathers, G. Wassmer, A. Schoenberger, U. Engelmann: Die Prävalenz von männlichen Erektionsstörungen in Deutschland heute und in der Zukunft, Aktuelle Urologie 31 (2000), S. 302–307